Die Rose von Thorin

Kapitel 1

Ein kleiner weißer Porzellanteller flog durch die Luft. Mit einem lauten Klirren zerbarst er an der holzvertäfelten Wand und die Bruchstücke schepperten auf den Haufen weiterer Scherben, die bereits am Boden lagen. Das Krachen und Klirren hallte laut durch die Korridore des Palastes von Val Thorin. Die Bediensteten des Schlosses, in ihren weiß-roten Livreen schauten erschreckt in die Richtung des kleinen Salons wo die Geräusche ihren Ursprung nahmen. Niemand wagte nachzusehen, was dort geschah, da die Prinzessin wieder einmal eine ihrer Launen hatte, wie so oft in der letzten Zeit. Niemand mochte sich an solchen Tagen in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit begeben.

„Rhiana, so beruhige dich doch!“ Anina rang verzweifelt die Hän­de, doch die Prinzessin griff unbeeindruckt nach einem weiteren Teller. Das Mädchen keuchte vor Wut und sein hübsches Gesicht war verzerrt und rot angelaufen. „Mir zu verbieten aus zu reiten. Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“ Der Teller flog in hohem Bogen, zer­sprang an der Wand und der Scherbenhaufen wuchs.

„Mädchen, es ist doch nur zu deinem Besten. Die Wälder sind nicht sicher. Es gibt Berichte von wilden Tieren. Erst letzte Woche ist ein Rind gerissen worden ganz in der Nähe des Waldes.“

„Ha, alles Ausreden. Vater will mich in diesem verdammten langweiligen Schloss einsperren, bis ich versauere. Die Gardisten könnten mich ganz leicht schützen, wenn es wirklich etwas gäbe vor dem ich beschützt werden müsste.“ Rhiana zog eine höhnische Grimasse. Der näch­ste Teller gesellte sich zu den Bruchstücken. „Ich will nicht nur Zuhau­se herumsitzen. Ich werde es Vater schon zeigen. Ich gehe einfach. Soll er mich doch aufhalten, wenn er kann.“

Prinzessin Rhiana streckte nun, da die anderen Geschirrstücke bereits alle zerbrochen am Boden lagen, die Hand nach der Tee­kanne aus. Anina griff ebenfalls danach und hielt die Kanne fest. Rhiana wollte der älteren Frau die Kanne entwinden, doch die Gouvernante gab nicht nach. Die Augen der beiden Frauen trafen sich und die Prinzessin funkelte die Ältere aufgebracht an. „Lass los!“

„Nein!“ Aninas Stimme klang gefährlich ruhig. „Du wirst dich jetzt beruhigen Rhiana. Der Befehl deines Vaters ist ver­nünftig und notwendig. Wenn du darüber nachdenkst wirst du es einsehen. Wenn Du weiter darauf bestehst dich wie ein 5jähriges Gör aufzuführen, werde ich dich auch so behandeln. Du kannst mein Wort darauf haben, dass ich dir den Hintern versohlen werde, wie damals als du meine Stickarbeit vor Wut zerschnitten hattest.“ Anina stand hochaufgerichtet und völlig ruhig. Sie schrie nicht und schimpfte nicht, doch ihre Augen blitzten. Rhiana sah sie einen Moment zweifelnd an, dann wurde ihr klar, das die Ältere ihre Drohung wahr machen würden.

„Ich hatte so wie so keine Lust mehr auszureiten.“

Rhiana streckte trotzig das Kinn vor und ließ die Teekanne los. Anina stellte das empfindliche Porzellan vorsichtig auf den Tisch zurück und sah die Prinzessin prüfend an. Rhiana ließ sich auf einen der Stühle fallen, die am Tisch standen und betrachtete missmutig die Reste des Frühstücks. Sie hätte jetzt gern eine Tasse Tee getrunken doch die Tassen lagen alle zerbrochen auf dem Boden. Ungeduldig griff sie nach der Glocke um nach einem Diener zu läuten. Nichts war heute so wie sie es sich wünschte. Sie hatte sich so auf einen Ausritt gefreut, doch ihr Vater hatte es verboten. Es klopfte leise an der Tür, und ein junges Mädchen in der Kleidung der Dienerschaft kam herein. Sie wirkte ängstlich und zitterte leicht.

„Räum das weg und bringe neue Tassen“ befahl die Prinzessin unwirsch. „Sehr wohl eure Hoheit.“ Die Kleine beeilte sich die ihr aufgetragene Arbeit zu erledigen. Sie wirkte erleichtert als sie den Raum wieder verlassen konnte. Kurz darauf kehrte sie mit neuen Gedecken für die Prinzessin und ihre Gouvernante zurück. Mit gesenktem Kopf stellte sie die Gegenstände auf dem Tisch ab und zog sich mit einem tiefen Hofknicks rasch wieder zurück.

Anina, die schon die Kinderfrau der Prinzessin gewesen war, stand neben Rhianas Stuhl und sah missbilligend auf das junge Mädchen hinab. „Sind eure Hoheit der Meinung, dass die junge Sallie verantwortlich ist für euren Ärger? Oder was war der Grund dem Mädchen solche Angst einzujagen?“ Die Stimme der Älteren klang wie Eis und troff vor Sarkasmus. „Wie – oh, sie ist doch nur eine Dienstmagd.“ Aninas Augenbrauen hoben sich als sie Rhiana anblickte. „Rhiana, ich kenne dich jetzt schon dein ganzes Leben lang und habe dich vieles gelehrt. Ich denke nicht das du vergessen hast das auch Dienstmägde Men­schen sind. Ich dachte ich hätte dir Manieren beigebracht. Aber offensichtlich muss ich hier wohl völlig versagt haben.“

Rhiana sackte auf Ihrem Stuhl zusammen. Die Wut war verraucht. Geblieben war nur Enttäuschung und Kummer. „Ach Anina, es tut mir leid. Aber ich bin neidisch auf alle, die sich frei bewegen dürfen. Ich hasse es die Prinzessin zu sein. Ich möchte viel lieber frei durch die Felder und Wälder galoppieren und mich nicht um die Befehle meines Vaters kümmern müssen.“ Rhiana wirkte jetzt sehr niedergeschla-gen. Sie hielt die Teetasse mit beiden Hände umklammert, als wolle sie diese zerdrücken. Anina setzte sich auf den Stuhl gegenüber und nahm der Prinzessin die Tasse aus der Hand.

„Das sind müßige Gedanken Liebes. Du bist Prinzessin Rhiana, die jüngste Tochter von König Siban und musst dieses Leben akzeptieren. Genauso wie deine Schwester und dein Bruder.“

Rhianas Bruder Thomian war der Thronerbe von Thorin. Er war seit einem Jahr fort um die Welt kennen zu lernen und bereiste alle Länder auf dem Kontinent um die Oberhäupter der anderen Königreiche zu treffen und zu lernen was es hieß ein König zu sein. Rhiana vermisste ihn schrecklich. Sie hatte schon als kleines Kind sehr an ihrem Bruder gehangen und sie liebte ihn über alles. Ihre Schwester hatte im letzten Jahr geheiratet hatte und war mit Ihrem Mann, dem König von Casheyr, fortgegangen. Rhianas Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben und so waren jetzt nur noch Ihr Vater und sie in den weitläufigen Räumen des Schlosses zuhause. Ihr Vater hing sehr an der jüngsten Tochter und versuchte sie vor allem zu beschützen. Manchmal neigte er jedoch vor lauter Vorsicht dazu zu vergessen, das seine Tochter ein junges Mädchen war und gerne Gesellschaft und Vergnügungen hatte.

Rhiana war sehr viel alleine und litt unter dieser Einsamkeit mehr als sie zugeben würde. Sehnsüchtig wartete sie auf die wenigen Briefe, die von ihren Geschwistern eintrafen, denn es wurde immer schwieriger einen Boten zu schicken. Viele der Männer, die mit Nachrichten zwischen den Königreichen hin und her ritten, kamen nicht an ihrem Ziel an und niemand wusste was aus ihnen geworden war. Die Leute in der Stadt tuschelten über Ungeheuer in den Wäldern und seltsamen Wesen, die angeblich der Freund eines Bekannten mit eigenen Augen gesehen haben wollte. Rhiana glaubte nicht an solche Geschichten, mit denen man Kindern Angst einjagte, wenn sie ungehorsam waren. Sie nahm an, dass die Boten vielleicht verunglückt waren oder in dem letzten viel zu kalten Winter einfach erfroren. Sie machte sich jedoch nicht viele Gedanken um die herrschende Kälte. Es war zwar mittlerweile schon der Monat Osral und der eisige Nordwind ließ immer noch alles zu Eis erstarren, aber Ihr Gemach war gut geheizt und irgendwann würde der Frühling schon kommen.

Plötzlich belustigt dachte sie an die Prediger, die im letzten Monat in die Hauptstadt gekommen waren. Sie erzählten Geschichten vom Untergang der Welt, und dass alle Leute Buße tun sollten und zu den Göttern beten, weil die Dunkle Nacht über die Welt kommen würde. Alle die nicht gerecht waren, und zu den Göttern flehten, würden vom Angesicht der Welt getilgt werden, sagten Sie. Sie konnte sich gut an die fanatischen Gesichter der Männer erinnern, die vor Ihrem Vater erschienen waren und gefordert hatten, dass er ein Gesetz erlassen müsse. Sie wollten erreichen, dass alle Menschen täglich in den Tempeln zu den Götter beten sollten. Der König hatte ihnen gesagt sie sollten gehen und nicht die Leute verrückt machen, wer in dem Tempel wollte, würde schon selbst dorthin gehen, denn kein Gesetz der Welt könne die Menschen gläubig machen. Die Priester waren beleidigt abgezogen und hatten den König einen Gottlosen genannt. König Siban hatte dies nur mit einem Schulterzucken quittiert. Er hatte andere Sorgen als das fanatische Gerede von religiösen Eiferern. Rhianas Vater hatte zwar nichts auf das Gerede der Fanatiker gegeben, aber die Menschen in den Straße waren ängstlich geworden. Viele glaubten den Predigten der „Jünger der Letzten Tage“, wie sie sich selbst nannten.

Das der Boden immer noch gefroren war und die Bauern ihre Felder nicht bestellen konnten, war schon eher ein Grund zur Sorge. Rhiana hatte gehört, dass wenn der Frühling nicht bald wärmer würde, eine schlechte Ernte zu erwarten wäre. König Siban machte sich Sorgen wegen einer Hungersnot, die ausbrechen könnte. Der Gedanke an eine Hungersnot erschien Rhiana ziemlich komisch. Es gab doch immer genug zu essen. Sie konnte sich nicht vorstel­len wie es sein mochte, wenn es nichts mehr gab. Seufzend stand sie vom Tisch auf.

„Was soll ich jetzt den ganzen Tag anfangen? Den ganzen Tag im Schloss herumsitzen? Das ist so schrecklich langweilig. Vater hat schon wieder so eine blöde Sitzung mit den Ministern. Niemals kümmert er sich um mich. Außer um mir etwas zu verbieten, was mir Spaß macht.“ Rhiana zog einen Schmollmund und ließ den Kopf hängen.

„Sei nicht kindisch. Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt. Er nimmt sich mehr Zeit für Dich, als er für deine Geschwister je erübrigen konnte. Jetzt hör auf zu schmollen. Das steht Dir nicht. Lies ein Buch oder arbeite an deiner Stickerei weiter, wenn dir langweilig ist.“ Anina sah zur Prinzessin auf und musterte sie nach­denklich. Die Stimmungsschwankungen ihres Schützlings wurden immer bedenklicher. Seit ein paar Wochen fiel die Prinzessin von einer Laune in die andere. In dem einen Moment war sie niedergeschlagen, im Nächsten euphorisch und ein paar Minuten später war sie wütend und warf mit Gegenständen um sich. Außerdem zeigten sich dunkle Ringe unter den blauen Augen und die helle Haut des Mädchens hob sich nunmehr bleich und fahl von dem rötlichen Haar ab, dass sich in weichen Wellen über ihre Schultern ringelte.

„Wie langweilig.“ Die Prinzessin stöhnte auf und rollte die Augen gen Himmel. „Ich werde in den Garten gehen. Vielleicht kann ich endlich die erste Frühlingsblume finden.“ „Tu das mein Kind. Tu das“. Anina sah der Prinzessin grübelnd nach als sie den Raum verließ. Was mochte bloß mit dem Mädchen los sein. Sie war zwar verwöhnt, aber launisch war sie nie gewesen. Vielleicht würde ihr die Gesellschaft eines anderen jungen Mädchens gut tun. Anina beschloss mit dem König darüber zu sprechen ob nicht eine der Cousinen der Prinzessin zu einem Besuch eingeladen werden könnte. Vielleicht die junge Margya, die Tochter des Herzogs von Mingal. Ja das würde Rhiana bestimmt aufheitern. Anina nahm ihre Stickarbeit zur Hand und dachte, während sie das letzte Blütenblatt einer Rose ausarbeitete, darüber nach wie sie dem König erklären könnte warum sie eine Gefährtin für Rhiana im Schloss haben wollte, ohne ihn in Sorge über den Gesundheits­zustand seiner Tochter zu stürzen.

Rhiana schlenderte durch die Höfe des Schlosses. Sie konnte sich nicht entscheiden, was sie anfangen sollte. Aus der Schmiede klang ein helles Hämmern herüber und aus der Küche drang ein herrlicher Duft nach Kuchen. Die Bediensteten eilten geschäftig hin und her und die Handwerker arbeiteten in ihren Werkstätten. Die Prinzessin beobachtete das Treiben und fühlte sich fehl am Platze. Jeder schien beschäftigt und wusste genau was er tun musste. Außer ihr schien es im gesamten Schloss niemanden zu geben, der nichts zu tun hatte. Missmutig wandte sie sich den Ställen zu. Ihre Schimmelstute stand mit hängendem Kopf in ihrer Box. Die anderen Pferde schnaubten unruhig. Seit Vater ihr vorige Woche die Ausritte verboten hatte, war sie nicht mehr hier gewesen. Das Pferd stupste sie sanft mit der Nase an und suchte in ihren Händen nach einem Leckerbissen. Sonst hatte sie immer etwas für die weiße Stute dabei, heute jedoch hatte sie es einfach vergessen.

„Na du, ist dir auch langweilig. Nein ich habe leider nichts dabei. Schade das wir nicht ausreiten dürfen.“ Rhiana streichelte sanft über die weiche Nase des Pferdes und die Stute schnaubte wie zur Bestätigung. Seufzend wandte sich die junge Frau ab und verließ den Stall. Im oberen Hof trat sie an die niedrige Steinmauer und blickte hinunter auf die Stadt Val Thorin. Die ziegelgedeckten Dächer wirkten stumpf und geduckt in der eisigen Luft. Von den Schornsteinen stiegen dünne Rauchfäden auf, die von einem kalten Wind zerfasert wurden und davon trieben. Die Hauptstadt des Königreiches Thorin war eine geschäftige Stadt mit Tavernen, Märkten und breiten Straßen auf denen die Karren und Handwagen der Bauern und Händler beladen mit Gemüse, Getreide, Töpfereien und anderen Handelswaren, geschäftig ihren Zielen entgegen strebten. Karawanen rüsteten sich zum Aufbruch oder kamen beladen mit Waren aus fernen Ländern an. Ordentliche Häuser und Geschäfte mit reichhaltigem Warenangebote säumte die breiten Straßen. Kleine, verwinkelte Gässchen zweigten davon ab und führten in die ärmeren Viertel, die jedoch keinesfalls als schmutzig oder heruntergekommen zu bezeichnen waren. Vor einer Schenke hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt um einer Schlägerei zuzusehen. Die Stadtwache war jedoch rasch da und trennte die Kämpfenden und forderte die Zuschauer zum Weitergehen auf. Eine beschauliche, wohlhabende Stadt, war Val Thorin. Die Prinzessin sah die Menschen klein wie Ameisen durch die Straßen gehen, doch war das rege Leben in den Straßen irgendwie gedämpft. Die Bewohner der Hauptstadt eilten mit gesenkten Köpfen durch die Straßen als läge eine schwere Last auf ihnen. Irgendwie war die früher Lebenslust und Freude der Menschen verschwunden. Fuhrwerke rumpelten durch die engen Straßen und brachten ihre Waren zu den Märkten und Geschäften. Rhiana konnte von ihrem Standort aus direkt die große Allee mit ihren großen Herrschaftshäusern hinunter zum Südtor blicken. Hier war das Gedränge besonders dicht. Eine lange Schlange von Menschen und Fuhrwerken wartete vor dem Tor darauf eingelassen zu werden. Vereinzelt konnte Rhiana die weiße Roben der Jünger der letzten Tage ausmachen, die hochaufgerichtet und gestikulierend an Straßenecken standen. Sie konnte wegen der Entfernung natürlich nicht hören was sie sagten, doch konnte sie erkennen, dass sich Menschentrauben um die Prediger sammelten und ihnen zuhörten. Neugierig beugte sich die junge Frau vor, als könnte sie dann etwas hören. Offensichtlich hatten die Predigten eine große Wirkung auf die Leute, denn Rhiana konnte sehen, dass manche der Männer, die den Predigern zuhörten, die Fäuste schüttelten. Sie hätte gerne gewusst was diese Männer den Leuten erzählten. Nachdenklich ließ sie ihren Blick hinunter zu den Stallungen gleiten, wenn sie vielleicht - ja das würde gehen. Sie würde Vater bitten ihr Geld zu geben, schließlich konnte er ihr ja nicht auch noch verbieten in die Stadt zu gehen und etwas einzukaufen. Irgend etwas, was sie unbedingt selbst aussuchen musste. Vielleicht ein Geschenk für ihre Schwester in Casheyr, bestimmt konnten sie den Vater überzeugen, das Boten es überbringen sollten. Sicherlich hätte Vater nichts dagegen, wenn sie ihrer Schwester schrieb und ihr etwas schenkte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Rhianas Gesicht. Sie würde schon herausfinden was die Prediger wollten. Plötzlich fühlte sich Rhiana wieder wie ein kleines Mädchen, das in der Küche heimlich vom Kuchen naschte, wenn die Köchin gerade nicht hinsah. Rasch eilte sie durch die Gänge des Palastes zum Arbeitszimmer des Königs. Es dauerte nicht lange König Siban zu überzeugen. Er konnte keine Argumente finden, warum die Prinzessin nicht in die Stadt reiten sollte und so gab er widerwillig nach und erlaubte es, allerdings sollte sie Anina mitnehmen und ein paar Gardisten als Leibwache.

Kurze Zeit später waren die Pferde gesattelt und die Stute der Prinzessin tänzelte unruhig. Rhiana war eine gute Reiterin und es fiel ihr leicht das Pferd zu beruhigen. Anina war sichtlich unwohl bei der Aussicht den Nachmittag auf einem Pferd oder bei Einkäufen in der Stadt zu verbringen. Sie sagte jedoch nichts und hielt sich sehr gerade im Sattel.

Die drei Soldaten, die ihr als Leibwache zugeteilt waren, saßen lässig auf ihren Pferden und nichts verriet was sie über diesen Ausflug dachten. Als alle bereit waren gab die Prinzessin das Zeichen zum Aufbruch und trieb ihr Pferd an. An der Spitze der kleinen Kolonne ritt sie durch das Tor hinunter in die Stadt. Bald hatten sie die belebten Straßen und Plätze erreicht und die Pferde konnten sich nur im Schritt durch das Gedränge schieben. Rhiana hielt Ausschau nach einem Prediger, als sie die Richtung zum Händlerviertel einschlug, aber sie konnte keine ausmachen. Die kleine Schar um Rhiana erregte kaum Aufmerksamkeit, da die Bevölkerung daran gewöhnt war, dass die Prinzessin manchmal in die Stadt kam um sich in den Geschäften umzusehen. Nur selten blieben Leute stehen um sie anzugaffen, meistens wichen die Menschen nur den Pferden aus und setzten ihren Weg fort. Rhiana brachte zwei Stunden damit zu, durch die verschiedenen Geschäfte zu bummeln, während die Soldaten sich im Hintergrund hielten und sich um die Pferde kümmerten. Anina, die anfänglich recht zurückhaltend gewesen war, taute allmählich auf und wies die Prinzessin des öfteren auf einen schönen Stoff für ein Kleid hin oder machte sie auf ein schön gearbeitetes Schmuckstück aufmerksam. Endlich hatte die Prinzessin auch ein Geschenk für ihre Schwester gefunden, einen kunstvoll gearbeiteten Vogel aus Glas. Über dem Einkaufsbummel hatte die junge Frau fast vergessen weshalb sie eigentlich in die Stadt gekommen war. Als sie jedoch das Geschäft des Glasbläsers verließen, wurde sie wieder daran erinnert. Gegenüber des Ladens befand sich ein kleiner freier Platz auf dem einer der zahlreichen Brunnen der Stadt stand. Auf dem Rand des Brunnens stand ein Mann in einer weißen Robe. Eine kleine Menschenmenge hatte sich dort gesammelt und hörte dem Jünger der letzten Tage zu, der mit ausladenden Gesten und lauter Stimme über den Weltuntergang sprach. Rhiana blieb stehen und betrachtete den Mann genau. Er war hochgewachsen und so dünn, das er wirkte als könnte ihn ein leichter Windstoß von seinem erhöhten Standplatz herunter wehen. Dunkles Haar fiel ihm gerade bis auf die Schultern. Er trug einen ungepflegten Vollbart, der seinen Mund vollständig verdeckte. Die Augen in dem hageren Gesicht waren blau und glitzerten vor Fanatismus wenn er sprach. Die Nase schien nicht zu diesem Gesicht passen zu wollen. Sie war breit und knollig und wirkte so als wäre sie mehr als einmal gebrochen gewesen. Die Prinzessin fragte sich wie ein Prediger wohl zu einer gebrochenen Nase kommen mochte. Mit weit ausholenden Gesten sprach der darüber, das die lange Nacht kommen würde.

Rhianas Blick glitt über die Gesichter der Menschen. Manche wirkten verängstigt, andere waren offensichtlich belustigt. Ein paar waren wütend und versuchten den Prediger mit Zurufen zum Schweigen zu bringen, aber der Mann in der weißen Robe ließ sich davon nicht beeindrucken. Er sprach einfach weiter und richtete seine Augen auf diesen oder jenen. Gerade sah er eine junge Frau an die sich unter dem Blick duckte als versuche sie unsichtbar zu werden. Er wetterte gegen die losen Sitten und die Schlechtigkeit der Frauen, die schamlos herum­liefen und gerechte Männer verwirrten. Jetzt hatte er Rhiana gesehen.

„Dort seht die edle Dame von königlichem Geblüt“ höhnte er. Die Soldaten, die bisher lässig hinter der Prinzessin gestanden hatten, strafften den Rücken und blickten sich aufmerksam um.

„Sie steht da in ihren feinen Kleidern. Doch was kümmert sie euer Schicksal. Im Palast wird sicher keiner hungern wenn die Ernte schlecht ist. Sie werden oben in ihrem Schloss sitzen und euch beim Sterben zusehen. Der König dieses Landes ist ein Gottloser. Wir waren bei ihm und sprachen zu ihm von der langen Nacht, doch er hat uns verlacht und uns die Tür gewiesen.“ Anina fasste die Prinzessin am Ärmel. „Komm. Rhiana wir sollten gehen.“ „Nein, ich gehe nicht. Dieser Mann verleumdet meinen Vater. Das werde ich nicht dulden.“ „Rhiana sei vernünftig. Dies ist nicht deine Sache. Die Stadtwache wird sich um diese Prediger kümmern. Komm jetzt.“ Rhiana funkelte Anina wütend an und riss sich mit einer heftigen Bewegung von Anina los und drängte sich durch die Menge nach vorn. Die Soldaten folgten ihr und Anina beeilte sich nicht zurückzubleiben. Die Menge hatte sich nun Rhiana zugewandt. Einige blickten sie an als würden sie die Worte des Predigers genauer bedenken. Jeden Moment konnte die Stimmung umschlagen. Rhiana war wütend, sie konnte es nicht fassen, das dieser Mann es wagte Ihren Vater als gottlos zu bezeichnen.

„Prediger, ihr stellt euch hier hin und sprecht von einem Mann schlecht, der nur das Beste für sein Volk will. Der König kann nichts für das Wetter und jeder hier kann euch bestätigen das er ein gerechter Mann ist.“ Vereinzelt konnte man Bravorufe hören. Rhiana blitzte den Mann auf dem Brunnen an und hektische rote Flecken zeichneten sich auf ihren Wagen ab. „Haltet eure Zunge im Zaum, Prediger, von Dingen zu sprechen, die Ihr nicht beurteilen könnt. Ihr sprecht davon das die lange Nacht kommt und das alle im Tempel zu den Göttern flehen sollen. Geht doch selbst in den Tempel und wiegelt nicht die braven Untertanen des Königs auf. Ich glaube nicht, dass die Götter verlangen das die Arbeit auf den Feldern liegen bleibt, damit alle im Tempel beten.“

„Gottloses Mädchen, willst du mich lehren was die Götter wollen?“ Wut und Fanatismus brannten in den Augen des hageren Mannes. Plötzlich hielt der Prediger einen Dolch in der Hand. Mit einem Aufschrei sprang er auf die Prinzessin zu. „Falsche Schlange, weibliche Hinterlist! Du wirst keinen Mann mehr vom rechten Pfad abbringen.“ Anina stürzte herbei und stellte sich vor die Prinzessin um sie zu schützen. Die Gardisten sprangen vor und bekamen den Mann zu fassen, noch bevor er die Prinzessin erreicht hatte. Der Mann schrie und tobte und verfluchte die Prinzessin, die blass daneben stand und zitterte. Sie war noch nie bedroht worden. Sie konnte nicht fassen das dieser Mann versucht hatte sie zu töten. Anina nahm die junge Frau am Arm und führte sie durch die Menge zu den Pferden. Die Gardisten übergaben den geifernden Mann der Stadtwache, damit sie ihn ins Gefängnis bringen konnten. Er würde verurteilt werden und in Anbetracht der Schwere der Tat würde das Urteil nicht milde ausfallen. Die Stadtwache trieb die Menschen auseinander als die Prinzessin und ihr Geleitschutz das Händlerviertel verließen und zum Schloss zurückkehrten.